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Rezo oder die Macht der Influencer

Facebook, Twitter, YouTube – soziale Netzwerke beherrschen das Internet. Das ist nichts Neues. Und dennoch sind die Einflüsse dieser Plattformen auf unser gesellschaftliches Zusammenleben immer deutlicher spürbar. Von den Reichweiten vieler YouTuber träumen mittlerweile die alteingesessenen Zeitungsverlage und TV-Sender. Die Influencer beherrschen den Markt und mittlerweile auch die öffentliche Meinung. Dafür braucht es keine aufwendig produzierten Werbespots und Talkshows mehr. Es reicht ein Mann, ein Mikrofon und eine Kamera.

Rezo? Noch nie von ihm gehört? Macht nichts, mir ist der Name bisher auch kein Begriff gewesen – und das obwohl ich regelmäßig in sozialen Netzwerken unterwegs bin. Liegt wohl daran, dass ich nicht zu seiner Zielgruppe gehöre: ein junges Publikum, das auf einfach verdauliche Unterhaltung aus ist. Und das macht er offenbar mit großem Erfolg. Mit über 1,6 Millionen Abonennten gehört sein Hauptkanal mit zu den großen Größen im Youtube-Universum. Mit Politik hatte er bis dato nicht viel am Hut. Könnte man meinen. Doch sein kurz vor der EU-Wahl veröffentlichtes Video “Die Zerstörung der CDU” spricht plötzlich eine andere Sprache. Durch viele Quellen belegt und eloquent vorgetragen, kommt er zu dem Schluss, dass die Regierungsparteien – allen voran die CDU/CSU – den Bezug zum (jungen) Wähler komplett verloren haben, sich hauptsächlich um die Interessen von Lobbyisten kümmern, auch nicht vor Lügen zurückschrecken, um ihre Ziele zu erreichen, und unser aller Zukunft verspielen.

Nun könnte man meinen, so ein Video interessiert niemanden in den Reihen der CDU. Die meisten werden mit dem Namen Rezo wohl auch nicht viel anfangen können. Doch die teils panischen Reaktionen von Politikern der Regierungsparteien zeigen, dass die verstanden haben, welchen immensen Einfluss solch ein Video hat. Da spricht ein Typ, der könnte auch dein Kumpel sein, Dinge aus, die dir vielleicht auch schon lange unter den Nägeln brennen. Und das kurz vor einer für die CDU so entscheidenden Wahl. Nach dem Debakel um Artikel 13 und dem aus Marketingsicht unterirdischen Umgang von CDU-Politikern mit den Demonstrationen rund um die Urheberrechtsreform hat sich bereits ein Großteil der jungen Wähler von der Union verabschiedet. Umso erstaunlicher sind die Reaktionen auf Rezo’s Manöverkritik.

Somit ist Rezo natürlich nicht alleine für den Abrutsch der CDU bei der EU-Wahl zuständig. Doch sein Video hat Wellen geschlagen wie kein anderes. Über die Inhalte lässt sich diskutieren. Man muss nicht in allen Punkten mit ihm übereinstimmen. Und dennoch hat er bei einigen der angesprochenen Themen durchaus den Nagel auf den Kopf getroffen. Und das ist der Grund, warum die CDU reagiert wie ein panischer Hühnerhaufen. Die dazu genannten Fakten sind nunmal nicht zu leugnen.

Mittlerweile gibt es auch kritische Stimmen. Das Video sei nur eine gut geplante Kampagne seines Netzwerks TUBE ONE gewesen mit dem Ziel indirekt Wahlwerbung für die Grünen zu machen. Das Kölner Unternehmen kreiert gemäß Webseite Kampagnen für Social Influencer. Dass TUBE ONE zur Ströer Media Deutschland GmbH gehört, lässt vermuten, dass das Video nicht so harmlos ist, wieder es daherkommt, sondern von langer Hand geplant und strategisch klug kurz vor der Wahl veröffentlicht wurde. Immerhin ist sein Zielpublikum jung und leider oft auch leicht beeinflussbar.

Im Video kritisiert er neben CDU/CSU auch Parteien wie die SPD, die FDP und die AFD. Nur Grüne und Linke bekommen nicht ihr Fett weg. Auch räumt er dem umstrittenen Thema “Klimawandel”, dem grünen Thema schlechthin, auffällig viel Zeit ein und behauptet, es gäbe bei diesem Thema nur eine legitime Einstellung. Diese Aussage erinnert eher an dunkle Zeiten in Deutschland als an ein harmloses Video eines normalen Jugendlichen von nebenan. Ein offener Diskurs über das Klimathema wird damit von vorne herein ausgeklammert.

Eine Wahlempfehlung für die Grünen gibt er zwar direkt nicht ab. Dafür gibt er die von “Wissenschaftlern und Experten” wieder, für die “am ehesten Grüne und Linke eine Option sei”. Ist das nun geschickt verstecktes Marketing? Möglich wäre es. Nicht umsonst gibt es solche Agenturen. Das sind Profis, die wissen, wie soziale Medien funktionieren. Hier geschieht nur selten etwas zufällig. Dafür sprechen auch die vielen Quellen und eingeblendeten Grafiken. Das bedarf einiger Vorbereitungen.

Die Gegenseite argumentiert, dass das Video ja in seinem Zweitkanal mit “nur” knapp 900 000 Abonennten hochgeladen wurde. Auch wird keinerlei Werbung geschaltet. Ob Werbung geschaltet wird oder nicht hängt von der Größe des Kanals und dem Inhalt des Videos ab. Ab einer bestimmten Anzahl von Abonennten ist Werbung bei Videos, die den Youtube-Richtlinien entsprechen immer aktiv, aber der Youtuber kann selbst entscheiden, ob er Werbung schaltet oder nicht. Demzufolge hat Rezo hier bewusst auf Werbung und damit auch auf die Werbeeinnnahmen verzichtet. Es könnte also auch durchaus sein, dass Rezo das Video im Alleingang und ohne Absprache mit seinem Netzwerk produziert hat. Einfach, weil er etwas auf dem Herzen hatte, das er loswerden wollte. Abschließend lässt sich das nur schwer beurteilen.

Ob gestellt oder authentisch – eines hat der Wirbel um das Rezo-Video sicher gezeigt: alte Strukturen in der Medienlandschaft brechen auf und werden durch die Netzmedien ordentlich durcheinandergewirbelt. Im Falle von Rezo vielleicht wirklich nicht von ihm alleine. Im Falle vieler anderer Youtuber aber tatsächlich von ganz normalen Menschen. Menschen, die sich Ihrer Macht oft nicht mal bewusst sind. Das sind die neuen Medien. Und wie die alten schon immer die öffentliche Meinung mitbestimmt haben, so tun das auch die neuen Meinungsmacher. Ihnen entgeht man nur durch einen kritischen Geist und hohe Medienkompetenz. Oder man lebt ab und an mal wieder nach dem Motto: “Einfach mal abschalten.”

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